BAYESIAN YACHT – EINE VERKETTUNG VON FEHLENTSCHEIDUNGEN
Nur weil jemand etwas seit 30 Jahren tut, heißt das nicht, dass er es richtig tut. Und nur weil viele dasselbe tun, heißt das nicht, dass es klug ist.
Autor: Thomas Lauber – Executive Yachting – 22. Juni 2025
INHALTSVERZEICHNIS
- Das nördliche Haupt-Tiefdruckgebiet
- Windward statt Leeward – der falsche Ankerplatz
- Fehlentscheidung beim Ankermanöver
- Anker-Drift ca. 300 m – eine kleine Weltreise
- Wachhabendes Crewmitglied
- Antriebsmotor läuft nicht
- Kapitän schläft – das geht nicht
- Gäste an Deck mit Schwimmwesten
- Umkippen der Segelyacht
- Crew verlässt Schiff – vor allen Gästen?
- Presse Schuldzuweisung
- Schlussfolgerung als Weltsegler
Hinweis gemäß Unschuldsvermutung
1. Das nördliche Haupt-Tiefdruckgebiet
In der Nacht des Bayesian-Unglücks (18.–19. August 2024) zog ein kräftiges Tiefdrucksystem über das westliche Mittelmeer hinweg, das sich zuvor speziell über dem Golf von Genau gebildet hatte. Dieses Tief leitete einen Vorstoß kalter Luft ein, begleitet von einem ausgeprägten Windfeld aus Nord-Nordwest. Infolgedessen erreichten die Wellen Sizilien aus nördlicher Richtung.
2. Windward statt Leeward – der falsche Ankerplatz
Dank moderner Elektronik ist die Wettervorhersage heute deutlich einfacher als in früheren Zeiten. Wetter-Apps zeigen das Tiefdruckgebiet zu jeder Uhrzeit an, ebenso die Wind- und Wellenrichtung sowie deren jeweilige Stärke. Windhosen hingegen bleiben in diesen Darstellungen leider unsichtbar.
Obwohl das Haupt-Tiefdruckgebiet nachweislich aus Nord-Nordwest kam, entschied sich der Kapitän dennoch, die Yacht in der Windward Seite zu positionieren. Das war ein entscheidender Hauptfehler. Gerade bei schlechtem Wetter gilt die professionelle Regel auf der Leeward Seite zu ankern, um Schutz vor Wind und Wellen zu finden.
3. Fehlentscheidung beim Ankermanöver
Früher war beim Yachting die Navigation die Königsdisziplin, heute wohl das Ankern.
Bei schlechtem Wetter kann es ratsam sein zwei Anker zu setzen, insbesondere bei 30 m Wassertiefe mit Abfallenden Untergrund. Der Kapitän schätz jeweils die aktuelle Lage ein: die Tiefe, Windstärke, Strömung, Grundbeschaffenheit, Verlauf der Grundfelskante (30 auf 50 m) etc.
Das V-Anker– und das Tandem-Anker-Manöver sind zwei spezielle Ankermanöver mit zwei Anker, die für besondere Anforderungen genutzt werden – vor allem bei schwierigen Ankergründen, hohem Wind oder starker Strömung. Hier sind die Vor- und Nachteile beider Manöver:
V-Anker-Manöver (auch „Ankergabel“)
Vorteile:
- Größere Haltekraft durch breitere Lastverteilung auf zwei Anker.
- Bessere Seitenstabilität: Das Schiff kann weniger schwojen, weil es zwischen zwei Ankern „eingespannt“ ist.
- Ideal bei Seitenwind oder starker Querströmung.
- Höhere Sicherheit bei langen Liegezeiten (z. B. bei Starkwind).
Nachteile:
- Komplizierter in der Ausführung: Benötigt gute Koordination beim Ausbringen der Anker.
- Schwieriger beim Einholen: Beide Anker können sich verknoten oder verheddern.
- Manövrierfähigkeit eingeschränkt beim Ankerlichten.
- Nicht ideal bei wechselnden Windrichtungen, da das Schiff sich nicht frei mitdrehen kann und die Kette sich verdrehen kann.
Tandem-Anker-Manöver (Anker in Linie, einer hinter dem anderen)
Vorteile:
- Deutlich höhere Haltekraft in Zugrichtung – gut für schlammigen oder schlechten Ankergrund.
- Einfache Ausrichtung bei starkem Wind oder Strömung in nur eine Richtung.
- Relativ einfacher Aufbau: Zweiter Anker wird in Verlängerung der Kette des ersten gesetzt.
Nachteile:
- Nur in Zugrichtung wirksam – bei Winddrehern wird der hintere Anker wirkungslos.
- Risiko des Verhakens beim Aufholen, da sich Ketten/Anker ineinander verkeilen können.
- Begrenzte Wirkung bei Drehung um den Anker (z. B. bei wechselnden Windrichtungen).
Als Weltsegler hatten wir im Laufe der Zeit unsere eigenen, teils sehr speziellen Techniken beim Ankern entwickelt – teilweise mit bis zu drei Ankern in der entlegenen Südsee – sowie auch beim Reffen unter Fahrt (für 1 Crewmitglied). Diese Methoden findet man in keinem Lehrbuch.
Das Ankern mit zwei Ankern stellt eine Herausforderung dar: Das Schwojen kann dazu führen, dass sich die Ketten ineinander verdrehen. Die Lösung: Unter kontrollierter Motorkraft hält man den Bug ständig im Wind, holt mithilfe der Motorkraft die Ketten behutsam ein Stück ein. Somit entsteht ein zusätzliche Druck auf den Anker, welcher sich schliesslich auch dreht. Ist die gewünschte Position erreicht, kann die Crew die Kette wieder verlängern – Anker und Yacht liegen dann wieder stabil und im optimalen Winkel.
Wichtig ist in jedem Fall: Bei Sturm muss der Motor laufen, um die Yacht jederzeit manövrierfähig zu halten. Sollte das Ankermanöver nicht greifen, bleibt nur eines – die Anker bergen und auf die offene See hinausfliehen.
4. Anker-Drift 300 m – eine kleine Weltreise
Das Driften eines Ankers tritt dann ein, wenn der Anker eines Schiffes seinen Halt auf dem Meeresboden verliert und das Schiff unkontrolliert abtreibt. Dieses gefährliche Szenario kann durch eine Vielzahl von Faktoren verursacht werden – etwa durch starke Winde, kräftige Strömungen oder eine zu kurze bzw. falsch dimensionierte Ankerkette.
Im vorliegenden Fall trieb die Bayesian über eine Distanz von mehr als 300 Metern ab – eine bemerkenswerte Strecke, die man beinahe als eine kleine Weltreise bezeichnen könnte. Siehe dazu die Grafik. Während dieses unkontrollierten Drifts war das Schiff schutzlos den Naturgewalten ausgeliefert – ohne Steuerung, ohne Kontrolle. Eine solche Lage darf unter keinen Umständen eintreten.
Unweigerlich stellen sich kritische Fragen: War der diensthabende Wachoffizier seiner Verantwortung gewachsen? War er bei vollem Bewusstsein?
Der Druck auf den Anker kam aus nördlicher Richtung, von der Windward-Tiefdruckregion
5. Wachhabendes Crewmitglied
Die Nachtwache muss von einem geschulten und qualifizierten Seemann übernommen werden – in dieser Schiffskategorie von einem Offizier. Während der Wache hat er zwingend sicherzustellen, dass die Position des Schiffs am Ankerplatz gehalten werden kann.
Heute stehen moderne Navigationsmittel zur Verfügung, mit denen sich die Schiffsposition einfach und klar auf dem Monitor überwachen lässt. Dies erfordert Aufmerksamkeit und wäre eigentlich einfach zu erfüllen.
6. Antriebsmotor läuft nicht
Der Antriebsmotor der BAYESIAN war während des Sturms nicht in Betrieb. Dies stellte einen weiteren schwerwiegenden Fehler dar.
7. Kapitän schläft – das geht nicht
Gerade in extremen Situationen wie einem Sturm muss der Kapitän anwesend und präsent sein. Er war über das Nördliche Tiefdruckgebiet im Bilde.
8. Gäste an Deck mit Schwimmwesten
Bei Sturm müssen alle Yachtgäste ihre Schwimmwesten anlegen, sich an Deck begeben und den Anweisungen der Crew Folge leisten.
9. Umkippen der Segelyacht
Das Umkippen der BAYESIAN war lediglich ein FOLGESCHADEN. Der eingefahrene Kiel hat diesen Vorgang selbstverständlich zusätzlich begünstigt. Wenn eine Yacht führungslos treibt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Wellen sie seitlich erfassen und die Yacht zur Seite drücken – mit der Folge, dass sie umkippt.
Die Perini-Navi „Rennmaschine“ lässt sich in keiner Weise mit dem Segelschiff Sir Robert vergleichen, welche wegen der Bauweise wesentlich ruhiger im Wasser liegt. Darüber hinaus war der Motor der Sir Robert während des Sturms aktiv, was sich auch klar im Verlauf der Drift erkennen lässt (siehe Grafik).
10. Crew verlässt Schiff vor allen Gästen?
Der Kapitän trägt die oberste Verantwortung für Schiff und Besatzung. Daraus leitet sich die Erwartung ab, dass er bei Notfällen als Letzter geht – nachdem er sich vergewissert hat, dass alle anderen in Sicherheit sind.
11. Presse Schuldzuweisung
Erstaunlich ist, dass die internationale Presse einseitig und wenig sachkundig den Fokus auf das Umkippen der Perini Navi berichtet – insbesondere mit der Behauptung, die BAYESIAN sei für derartige Kräfte nicht ausgelegt gewesen.
Dass das Umkippen nur ein Folgeschaden ist, hat die Presse nicht interessiert. Die Hauptursache des Vorfalls liegt wohl eindeutig in einer Vielzahl von Fehlleistungen der Crew – und somit in der Verantwortung des Kapitäns.
12. SCHLUSSFOLGERUNG ALS WELTSEGLER
Als Weltsegler habe ich viele – mitunter auch extreme – Fehler gemacht. Doch ich habe aus ihnen gelernt und darauf aufgebaut. Für mich stand immer fest: Es ist weitaus sicherer, einen Sturm auf See auszusitzen als vor Anker an einer Kette zu liegen, wo man nahezu handlungsunfähig ist.
Auf offener See bietet selbst ein extremer Sturm noch Handlungsspielraum: Man kann große Wellen meistern, indem man sie im richtigen Winkel anläuft – sowohl beim Hinauffahren auf den Wellenkamm als auch beim Hinabgleiten ins Wellental. Mit ausreichend Fahrt bleibt Druck auf dem Ruder, das Schiff ist manövrierfähig, und es besteht keine Gefahr mit Hindernissen zu kollidieren.
Hinweis gemäß Unschuldsvermutung
Alle hier getätigten Aussagen stellen keine abschließende Bewertung oder Feststellung dar. Sie beruhen auf öffentlich zugänglichen Informationen sowie technischen Analysen. Bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung gilt für alle genannten Personen und Unternehmen die Unschuldsvermutung.
BAYESIAN YACHT – A CHAIN OF WRONG DECISIONS
Just because someone has been doing something for 30 years doesn’t mean they’re doing it right. And just because many people are doing the same thing doesn’t mean it’s smart.
Author: Thomas Lauber – Executive Yachting
TABLE OF CONTENTS
- The northern main low-pressure system
- Windward instead of Leeward – the wrong anchorage
- Critical Mistake While Anchoring
- Anchor drift about 300 m – a small trip around the world
- Crew member on watch
- Propulsion engine not running
- Captain asleep – that’s not acceptable
- Guests on deck with life jackets
- Sailing yacht capsize
- Crew abandons ship
- Press Blame Assignment
- Conclusion as a World Sailor
Note according to the presumption of innocence
1. The Northern Main Low-Pressure Area
On the night of the Bayesian disaster (August 18–19, 2024), a strong low-pressure system moved across the western Mediterranean, which had previously formed specifically over the Gulf of Genoa. This low initiated an advance of cold air, accompanied by a pronounced North- Northwest wind field. As a result, the waves also reached Sicily from the north.
2. Windward instead of Leeward – the Wrong Anchorage
Thanks to modern electronics, weather forecasting is much easier today than it was in the past. Weather apps display the low-pressure area at any time of day, as well as the wind and wave direction and their respective strength. Unfortunately, cyclones remain invisible in these displays.
Although the main low-pressure system was demonstrably coming from the north-northwest, the captain still decided to position the yacht on the windward side. This was a crucial error. Especially in bad weather, the basic rule is to anchor on the leeward side to find shelter from wind and waves.
3. Critical Mistake While Anchoring
In the past, navigation was the supreme discipline in yachting; today, anchoring is the most important aspect.
In bad weather, it may be advisable to drop two anchors, especially in 30 m water depth with a sloping bottom. The captain assesses the current situation: depth, wind strength, current, bottom conditions, the shape of the bedrock edge (30 by 50 m), etc.
The V-anchor and the tandem anchor maneuver are two special anchoring maneuvers with two anchors that are used for special requirements – especially in difficult anchoring grounds, strong winds, or strong currents. Here are the advantages and disadvantages of both maneuvers:
V-Anchor Maneuver (also called „Anchor Fork“)
Advantages:
Greater holding power due to wider load distribution across two anchors.
Better lateral stability: The boat is less likely to rock because it is „clamped“ between two anchors.
Ideal in crosswinds or strong crosscurrents.
Greater safety during long layovers (e.g., in strong winds).
Disadvantages:
More complicated to execute: Requires good coordination when dropping the anchors.
More difficult to retrieve: Both anchors can become knotted or tangled.
Limited maneuverability when raising anchor.
Not ideal in changing wind directions, as the boat cannot rotate freely and the chain can twist.
Tandem Anchoring Maneuver (Anchors in a line, one behind the other)
Advantages:
Significantly higher holding power in the direction of pull – good for muddy or poor anchorage.
Easy to align in strong winds or currents in only one direction.
Relatively simple setup: The second anchor is set in line with the chain of the first.
Disadvantages:
Only effective in the direction of pull – if the wind shifts, the rear anchor becomes ineffective.
Risk of snagging when hauling up, as the chains/anchors can become entangled.
Limited effectiveness when rotating around the anchor (e.g., in changing wind directions).
As world sailors, we have developed our own, sometimes very specialized, anchoring techniques over time – sometimes with up to three anchors in the remote South Seas – as well as when reefing underway (for one crew member). These methods cannot be found in any textbook.
Anchoring with two anchors presents a challenge: Swinging can cause the chains to twist together. The solution: Keep the bow constantly in the wind while using the engine to carefully pull in the chains a little. This creates additional pressure on the anchor, which eventually rotates. Once the desired position is reached, the crew can extend the chain again – the anchor and yacht are then stable and at the optimal angle.
In any case, it is important: In storms, the engine must be running to keep the yacht maneuverable at all times. If the anchoring maneuver fails, there is only one option: retrieve the anchors and escape to the open sea.
4. Anchor drift 300 m – a short trip around the world
Anchor drift occurs when a ship’s anchor loses its grip on the seabed and the ship drifts uncontrollably. This dangerous scenario can be caused by a variety of factors—such as strong winds, strong currents, or an anchor chain that is too short or incorrectly dimensioned.
In this case, the Bayesian drifted a distance of more than 300 meters—a remarkable distance that could almost be described as a mini-trip around the world. See the graphic. During this uncontrolled drift, the ship was defenselessly exposed to the forces of nature—without steering, without control. Such a situation must not occur under any circumstances.
Critical questions inevitably arise: Was the officer on duty up to his responsibilities? Was he fully conscious?
The pressure on the anchor came from the north, from the Windward low-pressure region.
5. CREW MEMBER ON WATCH
The night watch must be taken over by a trained and qualified seaman – in this vessel category, by an officer. During the watch, it is imperative that the ship’s position at the anchorage can be maintained.
Today, modern navigation tools are available that allow the ship’s position to be easily and clearly monitored on the monitor. This requires attention and should actually be easy to accomplish.
6. Propulsion Engine Not Running
The Bayesian’s propulsion engine was not running during the storm. This represented another serious error.
7. Captain Sleeping – That's Not OK
Especially in extreme situations such as a storm, the captain must be present and on hand. He was aware of the NORTHERN low-pressure system.
8. Guests on Deck with Life Jackets
In a storm, all yacht guests must put on their life jackets, go on deck, and follow the crew’s instructions.
9. Capsizing of the sailing yacht
The capsizing of the Bayesian was merely a consequential damage. The retracted keel obviously further aggravated this process. When a yacht drifts without guidance, it’s only a matter of time before the waves catch it sideways and push the yacht to the side – causing it to capsize.
The Perini-Navi „racing machine“ cannot be compared in any way to the sailing ship Sir Robert, which lies much more steadily in the water. Furthermore, the Sir Robert’s engine was active during the storm, which is clearly evident in the drift (see graphic).
10. Crew abandons ship
The captain bears ultimate responsibility for the ship and crew. This leads to the expectation that he will be the last to leave in emergencies – after ensuring everyone else is safe.
11. Press Blame
It is astonishing that the international press is focusing on the Perini Navi capsizing in a one-sided and uninformed manner – particularly with the claim that the BAYESIAN was not designed to withstand such forces.
The fact that the capsizing was merely consequential damage was of no interest to the press. The main cause of the incident clearly lies in a multitude of errors by the crew – and therefore the captain’s responsibility.
12. Conclusion as a World Sailor
As a World Sailor, I have made many – sometimes extreme – mistakes. But I have learned from them and built upon them. For me, it was always clear: It is far safer to ride out a storm at sea than to be anchored on a chain, where you are virtually powerless.
On the open sea, even an extreme storm still offers room for maneuver: You can master large waves by approaching them at the right angle – both when climbing the crest and when gliding down into the trough. With sufficient speed, pressure remains on the rudder, the ship is maneuverable, and there is no danger of colliding with obstacles.
Note according to the presumption of innocence
All statements made here do not constitute a conclusive assessment or determination. They are based on publicly available information and technical analyses. Until a legally binding decision is made, all persons and companies named are presumed innocent.